Archäologie oder respektlose Sensationshascherei? (10. Februar 2009 als Leserbrief online an volksstimme.de gesendet)
Zahlreiche profunde Leserbriefe gibt es hier, allerdings auch ärgerliche. Ich meine: Mit gescheiten Worten und pseudo-aufklärerischem Getue ist hier niemandem gedient.
Fakt ist, die Öffnung des vermeintlichen Kenotaphs ist keine Ausgrabung. Hier wurde ein Sarkophag geöffnet, der sich seit 500 Jahren an geweihter Stelle im Chorumgang eines christlichen Doms befindet. Sein Inhalt wurde heimlich fortgeschafft und in Halle vor die Öffentlichkeit gezerrt, ein “Sensationsfund“.
Fakt ist, die Graböffnung und Zerstückelung der sterblichen Überreste dieser bedeutenden deutschen Königin hat keine archäologischen Motive. Wenn jedoch keine wissenschaftlichen Gründe im Vordergrund stehen – welches Beweggründe sind es dann?
Sollte dies “Wissenschaftlichkeit“ sein, dann steht es schlecht um die Gebeine des Kaisers Otto I. Her mit den Zähnen, wird es dann heißen, und ab nach Rom zur Untersuchung. Hier gilt es zu klären, ist hier wirklich Otto beigesetzt? Wer will das nach mehr als 1000 Jahren mit Sicherheit sagen? Die Analyse der Zähne wird zeigen, ob die beigesetzte Person sich längere Zeit in Italien aufgehalten und römisches Wasser getrunken hat, oder nicht. - Eine Vorstellung, die mir Angst macht. Es kann nicht die klassische Aufgabe der Archäologie sein zu prüfen, ob tatsächlich auch die richtigen Leute in ihren Gräbern liegen.
Den Verantwortlichen mangelt es nicht nur an Respekt und Demut vor der Königin. Es fehlt ihnen auch an Respekt und Demut vor den Menschen, die Editha seit mehr als 1000 Jahren verehren. Die Magdeburger sehen sich nun sogar dem Vorwurf des “Lokalpatriotismus“ ausgesetzt, sie seien einfältig, hätten keine Ahnung von Wissenschaftlichkeit, Sicherung und Konservierung von “Sensationsfunden“! (Leserbrief)
Vielleicht wäre alles nicht gekommen, wenn die evangelische Kirche ein Machtwort gesprochen hätte. Fakt ist aber leider, die evangelische Kirche hat im Magdeburger Dom nichts zu melden. Sie ist eine Quantité négligeable und keineswegs Herr im Haus.
Diese arrogante durch nichts zu entschuldigende Vorgehensweise der “Archäologen“ wird, so steht zu befürchten, in die Annalen der Stadt eingehen. Im Mittelalter hätte all dies womöglich einen veritablen Kriegsgrund abgegeben. Die Milanesen verzeihen jedenfalls den Deutschen bis heute nicht die Art und Weise, wie Friedrich Barbarossa die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Jahre 1164 als Kriegsbeute nach Köln verbrachte.
Gräber in einem christlichen Dom aufzubrechen, den Sarginhalt fortzuschaffen und ihn dem Blitzlichtgewitter der Medien auszusetzen, die Gebeine zu zersägen und in alle Welt zu verstreuen – sind das die Pflichten eines Wissenschaftlers? Professionelle Neugier, gepaart mit rücksichtsloser Indiskretion, persönlichen Eitelkeiten, auf der Jagd nach der Sensation und der Erstpräsentation – besteht da nicht ein fließender Übergang von der Wissenschaft zur deutschen Afterforschung? Zu forschen und zu informieren verpflichtet Wissenschaftler in keiner Weise zu einer Beteiligung an dieser morbiden Sensationshascherei.
Trotz allem hege ich ein wenig Zuversicht, dass der Sarg der Königin Editha samt Inhalt eines Tages wieder in den Magdeburger Dom zurückkehren wird – wenn auch entweiht und versehrt. Das Schicksal des Ötzi, der im Museum von Bozen zur Schau gestellt wird, möge der Königin erspart bleiben!
Erfreulicher Nebeneffekt dieses Skandals: Magdeburg ist in aller Munde, und ganz Deutschland kennt nun die Engländerin, die Otto dem Großen zur Seite stand, als Wegbegleiterin und als Mitherrscherin auf dem langen Weg nach Deutschland.
Dieter Müller, Bruchsal www.koenigin-editha.de
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